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Redaktionelle Kooperationen bedrohen die publizistische Vielfalt

Redaktionelle Verbundsysteme haben in der Schweiz in jüngster Zeit stark an Bedeutung gewonnen. Dadurch wird der publizistische Wettbewerb als unverzichtbare Voraussetzung für Qualität einge-schränkt. Denn immer öfter werden dieselben Inhalte verbreitet. Das zeigt ein automatisierter Text-vergleich der Schweizer Medienberichterstattung. Im demokratiepolitisch sensitiven Bereich der na-tionalen Politikberichterstattung erscheinen bereits 54% der Beiträge in mindestens zwei Zeitungen gleichzeitig.

Der automatisierte Vergleich mittels Jaccard-Koeffizient belegt, dass die Anteile geteilter Beiträge zwi-schen Medien aus dem gleichen Verbund sehr hoch sind. Der Tages-Anzeiger, der Bund und die Berner Zeitung zählen seit diesem Jahr zur neu geschaffenen Deutschschweizer Zentralredaktion der Tamedia. Nach Einführung der Kooperation stiegen die Anteile geteilter redaktioneller Beiträge in diesen drei Zeitungen um 17 Prozentpunkte auf aktuell 55%. Innerhalb von meinungsbetonten Formaten wie Leit-artikeln oder Kommentaren sind die Anteilswerte an identischer Berichterstattung sogar von 40% auf ganze 68% gestiegen. Damit werden vor Urnengängen vermehrt dieselben Abstimmungs- oder Wahl-empfehlungen abgegeben, was aus demokratiepolitischer Sicht problematisch ist. Redaktionelle Ver-bundsysteme fördern eine gleichförmige Themen- und Perspektivensetzung in der Medienarena. Die Gefahr publizistischer Fehlleistungen steigt, weil die Kontrollfunktion zwischen den Medien ge-schwächt wird. Zu diesen und weiteren Befunden kommt das fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich in seiner neunten Ausgabe des Jahrbuchs Qualität der Medien.

Berichterstattungsqualität trotz Vielfaltsverlust noch hoch
Über die 66 untersuchten Informationsmedien betrachtet, bleibt die Berichterstattungsqualität in der Schweiz hoch. Im Untersuchungsjahr 2017 erzielen die 35 Titel zwischen 6,1 und 8,3 von maximal 10 Qualitätspunkten. Die neu erfasste Wochenzeitung (WoZ) schafft es auf Anhieb auf den vierten Platz des Gesamtrankings und egalisiert den Score der NZZ. Rund ein Drittel aller Medien kann die Qualität im Vorjahresvergleich aber nicht halten. Einbussen zeigen sich in der Vielfaltsdimension, aber auch bei der Einordnungsleistung. Der Ressourcenabbau in der Schweizer Informationspublizistik zeigt Wir-kung.

Personeller Braindrain im Journalismus und Zuwachs im PR-Sektor
Die wachsende Ertragsschwäche im Informationsjournalismus hat zur Folge, dass die Anzahl Medien-schaffender im Newssektor laufend abnimmt. Zwischen 2011 und 2016 gingen im Bereich Online- und Pressemedien 3000 Stellen verloren (-19%). Im selben Zeitraum hat die Beschäftigtenzahl im PR-Sektor
um 16% zugenommen. Auch die Anzahl selbständiger Journalistinnen und Journalisten ist seit 2011 um 20% gestiegen. Die prekäre Finanzierungslage im Informationsjournalismus fördert eine Tendenz, wonach immer mehr Journalisten entweder «die Seite wechseln», d.h. im PR-Sektor einer neuen Be-schäftigung nachgehen, oder sich ihr Glück als Freischaffende suchen, unter zumeist prekären, weil langfristig unsicheren Bedingungen.

News-Deprivierte zeigen niedrige Zahlungsbereitschaft
Seit 2009 nimmt die Zahl der News-Deprivierten stetig zu. News-Deprivierte sind heute die mit Abstand grösste Nutzergruppe in der Schweiz. Das Publikum, das zu diesem Mediennutzungstyp zählt, konsu-miert wenig News und wenn, dann in qualitätsschwachen Informationsmedien, vorab via Social Media. Von allen Nutzergruppen ist jene der News-Deprivierten seit 2009 mit Abstand am stärksten gewach-sen (+15 Prozentpunkte). 2018 zählt mehr als jeder dritte Mediennutzer (36%) zu diesem Nutzertyp. Unter den 16- bis 29-Jährigen sind es sogar 53%. Da die Zahlungsbereitschaft unmittelbar mit dem Newsinteresse verknüpft ist, legt mit den News-Deprivierten genau jene Gruppe am meisten zu, die am wenigsten gewillt ist, für Informationspublizistik zu bezahlen.

Neues Mediengesetz (BGeM): Vorschläge reichen zu wenig weit
In Anbetracht dessen, dass dem professionellen Informationsjournalismus ein zukunftsfähiges Ge-schäftsmodell fehlt und unvermindert finanzielle und personelle Ressourcen wegbrechen, gehen die Vorschläge zum Ausbau der Medienförderung im neuen Bundesgesetz über elektronische Medien (BGeM) zu wenig weit. Erstens sollten neben Onlineanbietern, die audiovisuelle Inhalte produzieren, auch Onlinetextmedien gefördert werden können, die sich auf die Produktion von Hintergrundinfor-mationen spezialisieren. Zweitens müssen mehr Gelder für die direkte Medienförderung für private Medienanbieter vorgesehen werden, damit der publizistische Vielfaltsschwund in der Schweiz wirk-sam aufgehalten wird. Damit genügend Mittel für die SRG und die direkte Medienförderung zur Ver-fügung stehen, ist die absolute Summe der Medienabgabe genügend hoch anzusetzen und darf in den Folgejahren nicht weiter gesenkt werden.

Untersuchungsanlage, Methodik und weiterführende Informationen
Die Analysen des Jahrbuchs und der Studien Qualität der Medien basieren auf folgenden Daten:

Inhaltsanalyse:
Die Bewertung der Berichterstattungsqualität basiert auf einer Zufallsstichprobe aus dem Jahr 2017. Insgesamt wurden 26’444 Beiträge aus 66 reichweitenstarken Informationsangeboten aus der Deutschschweiz, der Suisse romande und der Svizzera italiana untersucht. Leitend für die Qualitäts-analyse sind die Dimensionen Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und Professionalität.

Publikumsbefragungen:
Erstens wurden in diesem Jahr erneut die Daten des «Reuters Digital News Report» berücksichtigt. Der globale Bericht enthält repräsentative Umfragedaten zum digitalen Newsnutzungsverhalten (über 74 000 Interviews) der Bevölkerung in 37 Ländern, inklusive der Schweiz. Das fög – Forschungs-institut Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich ist die Schweizer Partnerorganisation die-ser Grossstudie, die vom Reuters Institute for the Study of Journalism an der University of Oxford durchgeführt wird. Befragt wurden Anfang 2018 rund 2000 Internetnutzer der Deutschschweiz und
der Suisse romande. Auf der Basis von Onlinepanels wurden Stichproben gezogen, die für Internet-nutzer ab 18 Jahren repräsentativ sind.
Zweitens flossen Umfragedaten aus einer alljährlich durchgeführten, repräsentativen Mediennut-zungsstudie des fög in Zusammenarbeit mit GfK Switzerland in die Analysen ein. Im Rahmen dieser Studie werden seit 2009 rund 3400 Onlineinterviews jeweils zum Jahresbeginn durchgeführt. Der Kern der Befragung ist seit 2009 unverändert, sodass die Datenreihe inzwischen über zehn Jahre reicht.
Drittens stützt sich dieses Jahrbuch unter anderem auf Befragungsdaten des Stiftervereins für Medi-enqualität, welcher im Jahr 2016 erstmals das sogenannte Medienqualitätsrating (MQR) herausgab. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Medienqualität in der Schweiz zu fördern. Das fög ist verantwortlich für ein Teilmodul. Dabei geht es darum, die Berichterstattungsqualität von 50 Schweizer Informati-onsangeboten inhaltsanalytisch zu messen. Das zweite Teilmodul wird von der Universität Fribourg verantwortet. Dabei geht es um die Qualitätswahrnehmung des Publikums. Diese wurde anhand ei-ner Onlinebefragung (rund 1600 Interviews) in der Deutschschweiz und in der Suisse romande ermit-telt. Die erste Befragung wurde im Februar/März 2016, die zweite im Februar/März 2018 durchge-führt.

Kennwerte aus der Medienbranche:
Um die Veränderung der Nutzung, der Finanzierung und der Besitzverhältnisse von Informationsme-dien analysieren zu können, werden Sekundärdaten verwendet. Quellen sind unter anderem: WEMF, Net-Metrix, Mediapulse, Media Focus und Stiftung Webestatistik Schweiz.

Kontakt
fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich
Andreasstrasse 15
CH-8050 Zürich
Tel. +41 (0)44 635 21 11
E-Mail kontakt@foeg.uzh.ch

Medienqualität: Infosendung Rendez-vous von Radio SRF ist Aufsteigerin des Jahres

Das Medienqualitätsratings MQR-18 weist die Infosendung Rendez-vous von Radio SRF als Aufsteigerin des Jahres aus. Die insgesamt beste Bewertung erhielt wiederum das Nachrichtenmagazin Echo der Zeit. In der Tagespresse muss die NZZ neu den Spitzenplatz mit Le Temps teilen. Unter den Boulevard- und Pendlerformaten verdrängte lematin.ch die Newsplattform 20minuten.ch vom Siegerpodest.

Die zweite Ausgabe des Medienqualitätsratings MQR zeigt substanzielle Qualitäts-veränderungen im Bereich der Informationsmedien. Qualitätsaufsteigerin ist die Radionachrichtensendung Rendez-vous (+7 Qualitätspunkte). Auch das TV-Nachrichtenmagazin 10vor10 (+4) kann an Qualität zulegen. In der Gruppe der Aufsteiger befinden sich zudem die Westschweizer Tageszeitung Le Temps (+5) sowie der SonntagsBlick (+4) und Le Matin Dimanche (+3). WOZ Die Wochenzeitung ist neu in die Gruppe der Sonntagszeitungen und Magazine aufgenommen worden. Sie erreicht in der Berichterstattungsqualität auf Anhieb einen Spitzenplatz.

Das MQR-18 umfasst die 50 wichtigsten Informationsmedien der Schweiz. Es misst die Berichterstattungsqualität mit einem inhaltsanalytischen Verfahren und die Qualitätswahrnehmung mit Hilfe einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Diese zweifache Medienqualitätsmessung ist national wie international einmalig.

Das Ranking erfolgt gesondert für vier Mediengruppen mit vergleichbarer publizistischer Ausrichtung. Das Nachrichtenmagazin «Echo der Zeit» von Radio SRF führt zum zweiten Mal die Bestenliste der Informationsmedien an. Es liegt in der Vergleichsgruppe Radio- und Fernsehsendungen an der Spitze und setzt über alle untersuchten Medientitel hinweg – sowohl in der Inhaltsanalyse wie auch in der Publikumsbefragung – den Massstab punkto Medienqualität in der Schweiz.
In den anderen Vergleichsgruppen heissen die Qualitätsleader:

  • Neue Zürcher Zeitung und Le Temps in der Gruppe Tages- und Onlinezeitungen
  • NZZ am Sonntag in der Gruppe Sonntagszeitungen und Magazine
  • lematin.ch in der Gruppe Boulevard- und Pendlerzeitungen

Das MQR-18 zeigt jedoch auch, dass 15 der untersuchten 50 Informationsmedien gegenüber der Erhebung von 2016 an Qualität eingebüsst haben. Bei den regionalen Abonnementszeitungen sind substanzielle Einbussen festzustellen, u.a. bei 24heures (-8 Qualitätspunkte), Berner Zeitung (-6) und Aargauer Zeitung (-6). Treibende Faktoren sind ein www.medienqualitaet-schweiz.ch stifterverein@medienqualitaet-schweiz.ch Stifterverein Medienqualität Schweiz, c/o Dynamics Group AG, Utoquai 43, 8024 Zürich

Verlust an Themenvielfalt und eine abnehmende Hintergrundberichterstattung. Anscheinend hinterlässt der Spardruck in den Printredaktionen seine Spuren.

Entgegen der teilweisen Verschlechterung der inhaltsanalytisch gemessenen Berichterstattungsqualität bewertet das Publikum in 15 Fällen die Qualität des entsprechenden Titels im Vergleich zum MQR-16 als besser.

Insbesondere die Informationsangebote der Suisse romande haben beim Publikum Qualitätspunkte dazugewonnen. Im Zuge von Zusammenlegungen und Schliessungen von Redaktionen spitzt sich die Medienkrise in der Suisse romande zu. Offensichtlich veranlasst diese Entwicklung das Publikum zu Solidaritätsbekundungen, die sich in der Qualitätswahrnehmung ausdrücken.
In den Befragungsergebnissen zeigt sich ausserdem ein vergleichsweise ausgeprägter Qualitätszugewinn bei den SRG-Informationssendungen. Hier liegt nahe, dass es sich dabei um einen Vertrauensbeweis des Publikums handelt. Dies als Folge einer heiss umstrittenen Debatte über die geplante Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren im Vorfeld der No-Billag-Abstimmung, deren Annahme für den öffentlichen Rundfunk massive Einschnitte mit sich gebracht hätte.

Zu den Absteigern in der umfrageseitigen Qualitätsmessung gehören die stark auf unterhaltende News setzenden Deutschschweizer Titel 20 Minuten, 20minuten.ch sowie watson.ch. Ihr Angebot wird von den Befragten über alle Qualitätsdimensionen hinweg deutlich niedriger bewertet als noch zwei Jahre zuvor.

Die MQR-18 bewertet das Informationsangebot der untersuchten Medien nach den Kriterien Professionalität, Einordnungsleistung, Vielfalt und Relevanz. Diese sind für den Qualitätsjournalismus im Rahmen der demokratischen Meinungsbildung unentbehrlich. Um die Berichterstattungsqualität zu messen, wurden rund 20‘000 redaktionelle Beiträge analysiert und bewertet. An der Online-Befragung zur Qualitätswahrnehmung beteiligten sich über 2’100 repräsentativ ausgewählte Personen aus der Deutschschweiz und der Suisse romande.

Der vollständige Bericht ist in deutscher und französischer Sprache abrufbar unter www.mqr-schweiz.ch.

Über den Stifterverein Medienqualität Schweiz
Das Medienqualitätsrating MQR wird vom Stifterverein Medienqualität Schweiz verantwortet und herausgegeben. Der Verein wurde 2014 gegründet und zählt über 40 Mitglieder. Der Gründerkreis besteht aus Persönlichkeiten aus Medien, Politik und Wirtschaft. Präsident ist der ehemalige Verlagsmanager und Unternehmer Tobias Trevisan. Der Verein bezweckt die Förderung der Qualität in den Informationsmedien in der Schweiz; er ist auch für die Finanzierung des MQR zuständig.

Um eine unabhängige und wissenschaftliche Beurteilung der Medienqualität sicherzustellen beauftragt der Stifterverein die beiden Hochschulinstitute fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich und das Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg mit der Durchführung des Medienqualitätsratings.